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Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz – Eine Diskussion rechtlicher Ansprüche und vertaner Potenziale

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz – Eine Diskussion rechtlicher Ansprüche und vertaner Potenziale

Die #metoo-Debatte oder das deutsche Pendant #aufschrei haben der Verankerung von Sexismus in unseren Gesellschaften lautstarke wie vielseitige Gesichter gegeben. Die geteilten Geschichten handeln unter anderem von sexualisierter Belästigung am Arbeitsplatz. In einer Aktion von Zeit Online aus dem Jahr 2017 wurden Leser*innen 1 aufgefordert, Erfahrungen mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz einzusenden. Entstanden ist ein Online-Archiv mit mehr als 250 Beiträgen von Beschäftigten aus unterschiedlichsten Branchen. Studien setzen diese individuellen Erfahrungen in einen größeren Kontext: Einer Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) aus dem Jahr 2014 folgend, sind fast die Hälfte aller beschäftigten Frauen (45-55% je nach abgefragter Formen sexueller Belästigung) innerhalb der EU schon einmal am Arbeitsplatz belästigt worden. Laut einer Befragung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) (2019) ist in den letzten drei Jahren jede elfte erwerbstätige Person (9% aller Befragten) von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz in Deutschland betroffen. Frauen (13%) sind demnach etwa doppelt so oft betroffen wie Männer (5%). Neben dem Geschlecht werden weitere Risikofaktoren identifiziert, die in einer höheren Betroffenheit resultieren. Mehrfachdiskriminierungen Darunter durch fallen Kategorisierungen Faktoren von wie sexueller Orientierung oder ehtnischen Herkunft. Darüber hinaus zeigt sich, dass jüngere Personen und auch Menschen in befristeten und geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen mehr Belästigungserfahrungen machen.

In Deutschland ist sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verboten. Das AGG schützt alle Geschlechter. Alle Mitarbeitenden haben ein Recht auf physische und psychische Unversehrtheit am Arbeitsplatz. Zur gesetzlich vorgeschriebenen Fürsorgepflicht des Arbeitsgebenden gehört der Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung. Mit dieser Gesetzeslage existiert im Arbeitskontext eine weitreichende Regulierung, die so, beispielsweise für sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum, nicht besteht. Sind die rechtlichen Regelungen umfassend? Wird das Potenzial ausgeschöpft oder sind im Gesetzestext Lücken oder Hindernisse eingebaut, die dem Schutz der Beschäftigten nicht zuträglich sind?

Das seit August 2006 geltende AGG dient zur Verwirklichung von Gleichbehandlung und des Verbots von Diskriminierung am Arbeitsplatz. Sexuelle Belästigung ist in dem AGG eine Diskriminierung durch eine Kategorisierung aufgrund des Geschlechts und ist in § 3 Abs. 4 AGG definiert als „ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen geschaffen wird.“ 2 gekennzeichnetes UmfeldDie im Gesetz verankerte Definition sexueller Belästigung weist zwei entscheidende Merkmale auf. Erstens werden unterschiedliche Formen von sexueller Belästigung abgedeckt. Im Leitfaden der Antidiskriminierungsstelle des Bundes werden diese Formen sexueller Belästigung den Kategorien verbal, non-verbal und physisch zugeordnet. Im Gegensatz zum öffentlichen Raum sind Mitarbeitende an ihrem Arbeitsplatz auch vor verbaler sexueller Belästigung wie sexuell anzüglichen Bemerkungen und Witzen oder sexualierten oder unangemessenen Einladungen zu einer Verabredung geschützt. Darüber hinaus zählt das subjektive Empfinden: Entscheidend ist nicht die Intention der belästigenden Person, sondern ob die Handlung bei der betroffenen Person bezweckt oder bewirkt hat, dass sich diese in ihrer Würde verletzt sieht. Da Mitarbeitende ihren Arbeitsplatz nicht prompt verlassen können und auch aus wirtschaftlichen Gründen ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis existiert, besteht per Gesetz ein besonderer Schutz im Arbeitskontext. Die damit einher gehenden Pflichten des Arbeitgebenden bündeln sich in den so genannten Arbeitgeberfürsorgepflichten. Arbeitgebende sind laut Gesetz dazu verpflichtet eigene diskriminierende Verhaltensweisen zu unterlassen (§7 Abs.1 AGG) und müssen darüber hinaus vorbeugend agieren (§12 Abs.1 AGG). Die hiermit festgeschriebene Präventionsarbeit beinhaltet die Einrichtung einer Beschwerdestelle, bei der sich Betroffene und unterstützende Personen ohne Sorge um Benachteiligungen beschweren können (§ 16 Abs.1 AGG). Als Best-Practice Beispiel lässt sich das Beschwerdemanagement der Universität Halle als gelungene Umsetzung der rechtlichen Vorgaben nennen. Die Beschwerde muss von der zuständigen Stelle geprüft und das Beschwerdeergebnis mitgeteilt werden (§13 Abs.1 AGG). Wenn eine Partei Indizien vorlegt, die eine Benachteiligung vermuten lassen, trägt die arbeitgebende Partei die Beweislast (§ 22 AGG). Insofern die Beschwerdestelle zu dem Ergebnis kommt, dass eine Benachteiligung 3 vorliegt, muss der Arbeitgebergeeignete Maßnahmen mit dem Ziel egreifen, die Belästigung zu unterbinden, vor zukünftigen sexuellen Diskriminierungen zu schützen und der belästigenden Person den Verstoß gegen geltendes Recht und gegen den Arbeitsvertrag deutlich zu machen (§12 Abs.3 AGG). Fallabhängige Maßnahmen können von arrangierten Aussprachen, Entschuldigungen und Mediationen bis hin zu Instrumenten wie Ermahnung, Abmahnung, Versetzung und Kündigung der belästigenden Person reichen. Das AGG gibt damit einen Rahmen für ein Beschwerdemanagement vor, das als ein professionelles Konfliktmanagement zur innerbetrieblichen Streitbeilegung dienen soll. Auch wenn die Maßnahmen der Präventionsarbeit sowie die (personelle) Umsetzung der Beschwerdestelle vom Gesetz nicht detailliert vorgegeben sind, liefert das AGG eine umfassende Grundlage und nimmt Arbeitgebende in die Pflicht. Die Praxis lässt auf eine Diskrepanz zwischen dem gesetzlich formulierten Anspruch an Arbeitgebeber*innen und der betrieblichen Realität vermuten.

Aus einer Befragung der ADS geht hervor, dass in etwas mehr als der Hälfte (56 Prozent) der befragten Betriebe Beschwerdestellen bei Diskriminierung und Belästigung vorhanden sind. Allerdings geben über 40 Prozent der Befragten aus den Betrieben an, keine Kenntnis über Beschwerdestellen bei Diskriminierung und sexueller Belästigung zu haben. Die Studie der ADS kommt daher zu dem Schluss, dass die Bekanntmachung einer betrieblichen Beschwerdestelle (§ 13 AGG) bislang nicht zu Genüge umgesetzt wird.

Dieses Missverhältnis zwischen gesetzlichen Anforderungen und realer Implementierung von Beschwerdestellen sowie effektiver Präventionsarbeit ist auch mit einem Arbeitgeberfürsorgepflicht fehlenden gibt es Monitoring de facto zu keine erklären. Sanktionen Trotz für Unternehmen und Organisationen, die keine Beschwerdestelle eingerichtet 4haben und sich dem Thema nicht im Rahmen von Präventionsarbeit annehmen. Die so genannten Betroffenenrechte (§ 13-15 AGG) stehen Betroffenen zwar bei Missachtung der Arbeitgeberfürsorgepflichten zur Verfügung. Kurze Fristen (beispielsweise eine 2-monatige Frist mit Hinblick auf Schadensersatzansprüche und Entschädigungen nach § 15 AGG) erschweren jedoch die Inanspruchnahme dieser Rechte. Eine direkte und unmittelbare Reaktion beziehungsweise eine zeitnahe Einleitung eines Beschwerdeverfahrens ist für Betroffene, mitunter aus psychologischen Gründen, nicht immer möglich. Kurze Fristen ignorieren daher die Realität von Betroffenen und ihren individuellen Reaktionen bei sexualisierten Grenzverletzungen. Diese Umstände wirken abschreckend auf Betroffene und verringern somit den Druck auf Arbeitgebende ihren Pflichten nachzukommen. Eine Verlängerung der Fristen auf mindestens 6 Monate wird auch von der Antidiskriminierungsstelle selbst immer wieder gefordert 2 . Zusammenfassend dargestellt, bietet das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz eine juristisch verankerte Grundlage zum Schutz vor sexuellen Belästigungen am Arbeitsplatz. Dieser Schutz ist gesetzlich im Rahmen der Arbeitgeberfürsorgepflichten umfassend geregelt und bietet eine effektive Basis zur Einrichtung von Beschwerdemanagement- und Präventionsstrukturen in Arbeitskontexten. Mit Blick auf die Betroffenenrechte weist das Gesetz Hindernisse auf, die es den Betroffenen erschweren ihre Rechte bei Versäumnissen der arbeitgebenden Partei in Anspruch zu nehmen. Fehlende Kontrollmechanismen schränken das Potenzial des AGG weiter ein. Auch wenn aus den Gesetzestexten eine Verpflichtung zum Handeln hervorgeht, zeigt die Umsetzung in den Betrieben, dass dieser Verpflichtung nicht konsequent und flächendeckend 2 Kritisiert werden die kurzen Fristen u.a. in der Evaluierung des AGG 10 Jahre nach dessen Einführung und im Jahresbericht 2019 (ADS 2016: 8; ADS 2019: 29) 5nach gegangen wird. Es bedarf weiterhin mehr als nur den guten Willen einiger Unternehmen und Best-Practice Beispiele, was eine Implementierung des AGG angeht. Prävention und Schutz vor sexualisierter Belästigung am Arbeitsplatz sind trotz gesetzlicher Grundlage (noch) keine Selbstverständlichkeit in Deutschland.